„Eine Abtreibung löst keine Probleme“ – Interview mit Pro Femina

Im Sommer 2019 wurden in den Kirchen und Gemeinden der Evangelischen Allianz Gießen Spendengelder für die Arbeit von Pro Femina gesammelt, eine Hilfsorganisation, die deutschlandweit Frauen in Schwangerschaftskonflikten berät und Aufklärungskampagnen betreibt. Auch unsere Gemeinde hat sich dieser Spendenaktion angeschlossen und steht hinter der Arbeit von Pro Femina. Darüber hinaus haben wir uns an einer Extraspende beteiligt dank der drei Stadtbusse mit Werbung beklebt werden konnten. Seit September 2019 bis voraussichtlich Februar 2020 fahren sie durch Gießen und machen auf das Beratungs- und Hilfsangebot von Pro Femina aufmerksam.

Die Buswerbung stieß bei Politikern und Feministinnen in Gießen, aber auch deutschlandweit auf teils scharfe Kritik. Pro Femina-Pressesprecherin Caroline Stollmeier gibt in einem Interview mit uns Einblick in die Beratungsarbeit und den Umgang der Organisation mit wachsender Kritik aus Politik, Gesellschaft und den Medien.

Frau Stollmeier, warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dass es Ihre Beratung gibt und dafür auch geworben wird?

Stollmeier: Die Antwort, warum unsere Beratung wichtig ist, geben die Frauen, die wir beraten haben, selbst. Wir haben ein paar davon auf unserer Homepage www.1000plus.net veröffentlicht. Offenbar finden viele Schwangere bei uns etwas, das sie woanders nicht gefunden haben: Zeit, Unterstützung und nicht zuletzt Mut und Hoffnung, „nach vorne zu schauen“, wie es uns eine Betroffene schrieb. Wir selbst machen keine Werbung für unsere Beratung. Die Initiative zu der Werbung auf drei Stadtbussen in Gießen ging nicht von Pro Femina, sondern von der Evangelischen Allianz in Gießen aus.

In Gießen gab es wegen der Buswerbung viel Kritik aus der Stadtpolitik. Wie sind Sie damit umgegangen?

Stollmeier: Verantwortlich für die Buswerbung sind unsere Freunde von der Evangelischen Allianz, die wir natürlich nach Kräften unterstützen. Direkt an uns gewandt hat sich aus der lokalen Politik niemand – auch nicht, um sich etwa intensiver damit auseinanderzusetzen, was wir wirklich machen. Ganz allgemein gesagt: Pro Femina ist keine politische Organisation. Unser Ziel ist es vor allem, Schwangeren in Not bestmögliche Beratung und konkrete Hilfe zur Verfügung zu stellen.

Können das andere, sprich staatlich anerkannte Beratungsstellen, Ihrer Meinung nach denn nicht?

Stollmeier: Uns verwundert die große Zahl von Schwangeren (circa 25 Prozent), die sich an uns wenden, obwohl sie bereits den Beratungsnachweis aus einer staatlich anerkannten Beratungsstelle in der Tasche haben. Man sollte doch meinen, dass dort alle Fragen geklärt und Hilfe geleistet wurde. Aber in dieser Hinsicht machen Schwangere offenbar ganz unterschiedliche Erfahrungen, von denen sie uns natürlich auch berichten (einige davon haben wir ebenfalls auf unserer Website veröffentlicht).

In der aktuellen Diskussion, aber auch allgemein wird den Beraterinnen von Pro Femina häufig der Vorwurf gemacht, dass sie nicht ergebnisoffen beraten. Was ist an diesem Vorwurf dran? 

Stollmeier: Unsere Beratung ist ergebnisoffen in dem Sinne, dass wir die Freiheit der Schwangeren, die sich uns anvertrauen, bedingungslos respektieren. Wir sind aber davon überzeugt, dass die Entscheidung für das Kind langfristig immer die bessere Entscheidung ist. Deshalb ist es das Ziel der Pro Femina-Beratung, mit und für Schwangere in Not – die dies wünschen –, eine belastbare Alternative zu einer Abtreibung zu erarbeiten. Wir entwickeln mit den Frauen in unserer Beratung ganz individuelle Lösungen für ihre Probleme – so lange und so intensiv wie sie das möchten. Übrigens auch über die Geburt des Kindes hinaus.

Welche Hilfen bieten Sie Schwangeren und jungen Müttern konkret an?

Stollmeier: Vor allem natürlich eine intensive und individuelle Beratung, die je nach Konfliktursache auch weit über das Thema Schwangerschaft hinausgehen kann. Wir ermöglichen alles, was im Einzelfall helfen könnte. Das kann beispielsweise regelmäßige finanzielle Unterstützung, direkte Hilfe im Haushalt, Vermittlung eines Therapieplatzes, eine Eheberatung oder die Finanzierung eines kurzfristigen Erholungsurlaubs sein.

Was sind denn typische Konfliktursachen, mit denen sich die Frauen an Sie wenden?

Stollmeier: Von den über 16000 Frauen, die unsere Beratung 2018 in Anspruch genommen haben, nannten uns 44 Prozent Partnerschaftsprobleme als Hauptgrund, darunter ganz häufig: „Er möchte das Kind nicht“. Biografische Ursachen, beispielsweise wenn die Schwangere sich zu jung oder zu alt für ein Kind fühlt oder dieses sich aus anderen Gründen zum falschen Zeitpunkt ankündigt, waren der zweithäufigste Grund (26 Prozent), gefolgt von Angst vor Überforderung bei Frauen, die bereits ein oder mehrere Kinder haben (14 Prozent). Die materiellen Gründe liegen mit den medizinischen mit jeweils vier Prozent gleichauf. Für uns ist klar, dass eine Abtreibung keines dieser Probleme löst.

Warum stellen Sie diesen Schwangeren keinen sogenannten Beratungsschein aus, den sie nach der Beratungsregelung für einen Schwangerschaftsabbruch brauchen?

Stollmeier: Das Thema Beratungsschein ist im „Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftsabbrüchen“ (kurz: SchKG) geregelt und betrifft alle Beratungseinrichtungen, die am staatlichen Beratungssystem teilnehmen. Für uns als private Hilfsorganisation gilt dieses Gesetz nicht. Ganz unabhängig davon ist es unsere bewusste Gewissensentscheidung, uns in keiner Form an einer Abtreibung zu beteiligen.

Machen Sie den Hilfesuchenden vor Beginn der Beratung deutlich, dass sie keinen Schein ausstellen?

Stollmeier: Schwangere wenden sich in der Regel mit ganz konkreten Fragen im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft an uns. Zunächst einmal werden unsere Beraterinnen natürlich auf diese dringenden Anliegen eingehen. Sollte während der Beratung die Frage nach dem Beratungsschein aufkommen, geben sie selbstverständlich darüber Auskunft, dass wir als nicht-staatliche Beratungseinrichtung keine Beratungsscheine ausstellen (für Online- und Telefonberatungen wäre das eh nicht üblich). Das kommt in der Praxis jedoch so gut wie nie vor, zumal wie gesagt etwa ein Viertel der Frauen in unserer Beratung zuvor bei einer anderen Beratungsstelle gewesen ist und den Schein bereits hat.

Bei uns vor Ort haben Sie ja keine Beratungsstelle. Wie läuft das dann für Schwangere in Gießen, die Ihre Beratung in Anspruch nehmen möchten?

Stollmeier: Eine Schwangere in Gießen kann sich telefonisch oder über unsere Beratungsplattform www.profemina.org kostenlos und unkompliziert mit uns in Verbindung setzen. Sehr beliebt ist beispielsweise auch der „Abtreibungstest“ auf unserer Website, bei dem jede Schwangere eine ganz individuelle Auswertung ihrer Testantworten erhält. Wie es dann mit der Beratung weiter geht, entscheidet – wie immer bei uns – die jeweilige Schwangere. Wir gehen den Weg gemeinsam mit diesen Frauen, so lange und so intensiv wie sie das möchten. Der Großteil unserer Beratungen findet telefonisch oder online von unseren drei Beratungszentren Heidelberg, München und Berlin aus statt. Sollte aber beispielsweise konkrete Hilfe vor Ort in Gießen nötig sein, können wir dankbar auf unser breites Netzwerk ehrenamtlicher Helfer zurückgreifen.

Haben sich seit der Buswerbung mehr Schwangere aus Gießen an Sie gewandt?

Stollmeier: Das ist für uns leider nicht so einfach messbar, da viele Frauen in unserer Beratung anonym bleiben möchten und wir häufig selber nicht wissen von wo aus sie sich melden.

In einer großen deutschen Tageszeitung wird Ihnen zum Vorwurf gemacht, dass Sie einer verdeckten Reporterin finanzielle Unterstützung angeboten haben, wenn sie sich gegen eine Abtreibung entschieden hätte. Sie sei auch nach ihrem Beratungstermin unaufgefordert weiter per Mail kontaktiert worden. Auf konkrete Fragen zu einem Schwangerschaftsabbruch und auf ihre Zweifel sei hingegen nicht eingegangen worden. Was sagen Sie dazu?

Stollmeier: Es stimmt, dass wir Schwangeren finanzielle Hilfe anbieten, und zwar dann, wenn sie sich anderenfalls aufgrund ihrer finanziellen Sorgen zu einer Abtreibung gedrängt sehen würden. Im Grunde ist es bei diesem Thema wie bei allen anderen, die uns jeden Tag begegnen: Wir versuchen gemeinsam mit den Frauen die dringendsten Probleme zu lösen, um ihnen ein Leben mit ihrem Kind zu ermöglichen. Den „Fall“ dieser Fake-Schwangeren haben wir auf unserer Website veröffentlicht. Dort können Sie ganz leicht nachvollziehen, wie diese Journalistin ihre Geschichte konstruiert hat und es folglich zu unserem Hilfsangebot gekommen ist. Und ja, wir fragen nach, wie es den Frauen in unserer Beratung geht – insbesondere, wenn wir den Eindruck haben, dass eine Schwangere noch ambivalent ist und weiterhin Unterstützung benötigt. Zahlreiche Frauen haben uns später zurückgemeldet, dass es insbesondere dieses liebevolle und interessierte Nachfragen war, das ihnen in ihrer Krise sehr geholfen hat und ihnen das Gefühl vermittelt hat, ernst genommen und verstanden worden zu sein.

In diesem Jahr gab es bereits zwei Anschläge auf Ihr Beratungszentrum am Kurfürstendamm in Berlin bei dem die Räume so verwüstet wurden, dass dort für ein paar Wochen keine Beratung stattfinden konnte. Nun hat die SPD in Berlin bei einem Landesparteitag einstimmig beschlossen, das Berliner Beratungszentrum „umgehend zu schließen“. Wie geht es dort nun für Sie weiter?

Stollmeier: Das bleibt jetzt erstmal abzuwarten. Stand heute wir wissen noch nicht, wie sich der Berliner Senat zu den Forderungen des SPD-Landesparteitages verhält. Aber wir werden uns natürlich nicht geschlagen geben und gegebenenfalls juristische Schritte einleiten. In Berlin enden mehr Schwangerschaften mit einer Abtreibung als sonst wo in unserem Land. Da wir wissen, dass ein Schwangerschaftsabbruch für keine Frau etwas Erstrebenswertes ist, fühlen wir uns in besonderer Weise verpflichtet, den Schwangeren in Berlin beizustehen – auch vor Ort. Wir sind zuversichtlich, dass wir den derzeitigen Gegenwind mit vereinten Kräften und Gottes Hilfe in Rückenwind verwandeln können.

Das Interview führte Ruth Korte

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