Ein „Geist der Liebe und der Besonnenheit“ in Zeiten von Corona

von Thorsten Lehr

Für viele von uns waren die letzte Wochen eine besondere Erfahrung. Allein die Tatsache, dass viele Kinder nicht in die Schule oder die Kita gehen konnten und zuhause beschult und betreut werden mussten, ist für viele Eltern eine Herausforderung. Persönlich, beruflich und familiär mussten wir uns auf viel Neues und Ungewohntes einstellen.

Die Einschränkungen in unserem Alltag angesichts der allgemeinen Lage wurden spürbarer und einschneidender. Das öffentliche Leben wird immer weiter heruntergefahren und Fragen wie, ob unser Gesundheitssystem und die Wirtschaft all dem auch wirklich gewachsen sind, werden größer. Die Entwicklungen der letzten Tage und Stunden legen nahe, dass wir uns erst am Anfang dieses besonderen Abschnitts der Weltgeschichte befinden. Auch die Worte der Kanzlerin, dass wir vor der größten Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg stehen, machen deutlich, wie ernst die Lage ist. Man muss kein ausgewiesener Pessimist sein, um doch ein leichtes Unbehagen angesichts dieser ungeklärten Fragen zu verspüren.

Auch wenn ich keine Hamstereinkäufe gemacht habe und sie rational auch nicht wirklich nachvollziehen kann, merke ich doch, dass es mich nicht unberührt lässt, wenn ich plötzlich in einem Supermarkt vor einem leeren Regal stehe. Sichergeglaubtes, Wohlbekanntes und immer Dagewesenes ist zumindest für den Moment nicht mehr greifbar. Ein Gefühl der Unsicherheit macht sich breit. Was passiert da gerade in unserem Land und mit dieser Welt?

Jesus bringt es auf den Punkt!

Ich bin dankbar für den ersten Teil des Bibelwortes aus Johannes 16,33, wo Jesus seinen Nachfolgern sagt: „In der Welt habt Ihr Angst“. Jesus bringt schonungslos das auf den Punkt, was viele Menschen gerade in diesen Tagen empfingen. Eine Unsicherheit und Angst vor dem was da möglicherweise in den nächsten Tagen und Wochen auf uns zukommen könnte.

Ich kann jeden Freiberufler verstehen, der jetzt Existenzängste hat, weil ihm alle Aufträge schlagartig wegbrechen! Ich kann jeden Vater und jede Mutter mit einem chronisch kranken Kind verstehen, die Angst davor haben, dass dieses Virus unabsehbare Folgen für ihr Kind mit sich bringen kann! Ich kann jeden Menschen verstehen, der schon vor Corona einsam war und nun mehr denn je Angst vor sozialer Isolation und fehlender menschlicher Zuwendung hat! Und ich kann jeden Menschen verstehen, der sich nach Sicherheit und Verlässlichkeit sehnt und dem die ungewisse Zukunft Angst macht!

Neulich sagte mir jemand: „Der gut gemeinte Ratschlag ‚Fürchte dich nicht‘ hilft mir jetzt auch nicht weiter, sondern setzt mich sogar noch mehr unter Druck, meine Ängste und Sorgen möglichst schnell loswerden zu müssen.“ Wie können wir denn umgehen mit unseren Ängsten und Sorgen angesichts einer globalen Krise und der daraus entstehenden ganz persönlicher Not?

Wir müssen unsere Ängste nicht vor Gott verstecken

Zum einen müssen wir nüchtern festhalten, was Jesus selbst dazu sagt: „In der Welt habt Ihr Angst“ – Angst gehört zu dieser Welt. Diese Welt ist keine angstfreie Zone. Jesus beschönigt da nichts. Er ist da sehr klar und eindeutig: In dieser Welt gibt es Dinge, die uns Angst machen – und auch Glaubende sind nicht immun gegen die Ängste dieser Welt. Darum kann die Bibel auch ganz offen von Ängsten reden: „Herr, sei mir gnädig, denn mir ist angst“ – ruft der Beter des Psalms 31 (Vers 10). Auch die Jünger Jesu haben Angst vor dem Sturm auf dem See Genezareth. Und sie haben Angst und laufen davon, als Jesus verhaftet wird.

Wenn wir Ängste und Sorgen haben, dürfen wir sie vor Gott benennen und sie ihm klagen. Wir müssen uns mit unseren Ängsten nicht verstecken. Wir müssen uns wegen unserer Angst nicht schämen. Gott hört uns zu! Angst ist keine Schande, sondern Teil dieser irdischen und gefallenen Wirklichkeit, in der wir leben. „In der Welt habt ihr Angst“, das ist die ernüchternde Wahrheit es ersten Teils von Johannes 16,33.

Dann geht der Vers weiter mit: „Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Dieses „Aber“ macht deutlich, dass wir mit unserer Angst nicht alleine sind, sondern dass Jesus in diese Welt gekommen ist, um die gefallene Schöpfung mit all ihren Grenzen, destruktiven Strukturen und Ängsten zu überwinden. Er ist es, dem alle Macht gegeben ist und der verheißen hat, bei uns zu sein, bis das die Welt an ihr Ende kommt.

Das bedeutet, dass wir uns immer wieder daran erinnern lassen dürfen, dass wir in der Zukunft keinem blinden Schicksal ausgeliefert sind, sondern dass Gott Schritt für Schritt mit uns in jeden neuen Tag geht. Besonders dann, wenn wir nicht wissen was das Morgen bringt und uns diese Ungewissheit Angst macht. Sagt Jesus: „Ich habe die Welt überwunden“. Nicht wir müssen die Welt mit all dem was uns darin ängstigt überwinden, sondern wir dürfen uns vertrauensvoll an den hängen, der das bereits für uns getan hat: Jesus Christus.

„Danke Jesus, dass mein Leben mit allem was ich bin und habe, und auch mit all dem was mir Angst macht in deiner Hand liegt.“

Dieses kurze Gebet kann unseren Blick von den Ängsten und Sorgen dieser Welt ganz neu auf den richten, der die Welt überwunden hat. Wir dürfen Gott bitten, diese Wahrheit in unseren Gedanken und in unserem Herz ganz neu groß werden zu lassen.

Wie kann ich beten in Zeiten von Corona?

Ja, auch Christen haben Angst, aber die Angst bestimmt nicht unser Leben. Christen sind Menschen, die nicht angstgetrieben und angstgesteuert durch diese Welt gehen.„Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Ängstlichkeit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“ – so formuliert es Paulus im 2. Timotheusbrief. Genau das ist es was, diese Welt und unsere Gesellschaft jetzt am meisten braucht! Nicht Menschen, die getrieben von der Angst hamstern oder Panik verbreiten, sondern Menschen, bei denen man spürt, dass ein Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit ihr Lebens kennzeichnet.

Wie die Kraft des Geistes Gottes, seine Liebe und seine Besonnenheit in unserem Leben sichtbar werden können, möchte ich an jeweils einem Beispiel deutlich machen:

Ein Kennzeichen der Kraft des Heiligen Geistes ist das Gebet. Ich merke, dass es mir gerade sehr schwer fällt zu beten, weil ich gar nicht so genau weiß wofür ich konkret beten soll. Soll ich dafür beten, dass das Coronavirus schlagartig verschwindet und alle Menschen, die betroffen sind, sofort gesund werden?

Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Oder soll ich dafür beten, dass es sich möglichst langsam verbreitet, damit wir genug Intensivplätze und Beatmungsmaschinen für die betroffenen Patienten haben? Soll ich für alle Menschen allgemein beten weltweit oder mich vielleicht doch eher auf die Menschen konzentrieren, die mir am nächsten sind?

Angesichts der Masse an Problemen in Politik, Wirtschaft und Gesundheit werde ich manchmal mutlos und frage mich was mein Gebet überhaupt bewirkt bei all den Herausforderungen in dieser Welt um uns herum. Wo fange ich an und wo höre ich auf? Weil ich es nicht weiß, fang ich oft erst gar nicht an und ich vermute, dass ich nicht der einzige bin, dem es besonders in diesen Zeiten schwerfällt, die richtigen Worte im Gebet zu finden. Und dabei weiß ich doch, dass unser Land gerade jetzt das Gebet von uns Christen mehr denn je braucht.

Wie ist das mit dem Geist der Kraft in solchen Zeiten der eigenen Gebetsmüdigkeit? Ein Vers aus dem Römerbrief hat mir geholfen und mich ermutigt: „Der Heilige Geist hilft uns in unserer Schwäche. Denn wir wissen ja nicht einmal, worum oder wie wir beten sollen. Er tritt dann mit Flehen und Seufzen für uns ein; er bringt das zum Ausdruck, was wir mit unseren Worten nicht sagen können“ (Römer 8,26)

Es sind nicht meine Worte und meine Formulierungen, die den Ausschlag beim Gebet geben. Es ist der Geist der Kraft, der mir in meiner Schwachheit hilft und das vor Gott zum Ausdruck bringt, was ich mit meinen Worten nicht auszudrücken vermag. Das hat mir wieder Mut gemacht, neu für unser Land und diese Welt zu beten. Der Geist der Ängstlichkeit will uns lähmen und lässt uns im Gebet verstummen. Der Geist der Kraft dagegen nimmt unsere schwachen Worte und bringt sie vor Gott zu Gehör, denn seine Kraft ist den Schwachen mächtig.

Eine Möglichkeit des regelmäßigen Gebetes ist es, sich an der Gebetsaktion der Deutschen Evangelischen Allianz zu beteiligen: Jeden Tag um 20.20 Uhr, passend nach der Tagesschau, sind wir eingeladen Teil einer großen Gebetskette zu sein um für die herausfordernde Situation in unserem Land und dieser Welt zu beten. Jeder an dem Ort wo er gerade ist.

Drei Ideen, jetzt Nächstenliebe zu leben

Aber wir haben nicht nur einen Geist der Kraft bekommen, sondern auch einen Geist der Liebe, schreibt Paulus. Ein Kennzeichen des Geistes der Liebe ist die tätige Nächstenliebe, die er in uns bewirkt. In krisenhaften und bedrohlichen Situationen ist oft unser erster Reflex, uns nur um uns selbst zu kümmern. Frei nach dem Motto „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“, konzentrieren wir uns auf unsere eigenen Bedürfnisse und unser persönliches Wohlergehen.

Die Hamsterkäufe sind so ein Syndrom dafür, dass man sich jetzt selbst der Nächste ist. Soll der andere doch sehen wo er bleibt. Dieses Phänomen betrifft übrigens nicht nur Einzelpersonen. Ganze Staaten fangen an sich abzuschotten und die Grenzen dicht zu machen! Und der berühmt berüchtigte Slogan von Donald Trump „America first“ bringt diese Haltung stellvertretende für viele andere Staaten zugespitzt auf den Punkt.

Der Geist der Ängstlichkeit macht egoistisch, der Geist der Liebe macht solidarisch. Was unsere Gesellschaft jetzt mehr denn je braucht sind Menschen, die von Geist Gottes bewegt in Nächstenliebe für andere da sind.

In 1. Thessalonischer 5 drückt Paulus es so aus: „Ermutigt die, denen es an Selbstvertrauen fehlt! Helft den Schwachen! Habt mit allen Geduld! Achtet darauf, dass keiner Böses mit Bösem vergilt. Bemüht euch vielmehr mit allen Kräften und bei jeder Gelegenheit, einander und auch allen anderen Menschen Gutes zu tun. Das ist der Gegenentwurf zu Angst und Egoismus, die tätige Nächstenliebe, die der Geist Gottes in uns bewirkt und die den anderen nicht übersieht!

Drei Ideen, wie Nächstenliebe unter diesen besonderen Umständen in deinem Umfeld praktisch werden kann. Ein erster Tipp:

  1. Nimm dir die Zeit jeden Tag mit 2 oder 3 Menschen zu telefonieren von denen du denkst, dass sie sich über deinen Anruf freuen und die vielleicht in Zeiten der Isolation und Einsamkeit jemanden zum Reden brauchen. Das kostet dich etwas Zeit, macht einem anderen Menschen aber deutlich, dass er nicht vergessen ist.
  2. Entwickle kreative Ideen in der Beschäftigung mit deinen Kindern. Besonders für kleinere Kinder ist die Zeit der Einschränkung eine große Herausforderung und es kommt schnell Langeweile auf. Mir ist klar, dass Eltern nicht die Kita ersetzen können und mal eben so ein stundenlanges Kinderprogramm auf die Beine stellen können, aber mit etwas Kreativität ist vieles möglich. Ein paar kreative Ideen haben wir in unserem Blog zusammengestellt.
  3. Wenn Paulus schreibt „Bemüht euch mit allen Kräften und bei jeder Gelegenheit, einander und auch allen anderen Menschen Gutes zu tun“, dann macht das deutlich, dass unsere Nächstenliebe nicht in der eigenen Familie und auch nicht in der eigenen Gemeinde aufhört soll, sondern „auch allen anderen Menschen“ gelten darf. Eine gute Möglichkeit, in diesen Tagen ist ein Einkaufsservice für die Menschen einzurichten, die zu einer Risikogruppe gehören und sich nicht unnötig in Supermärkten und Lebensmittelgeschäften aufhalten sollten. Hier könnt ihr euch engagieren.

Und vergessen wir nicht: Gott hat uns einen Geist der Besonnenheit gegeben. Es braucht jetzt besonnene Menschen, die mit Weisheit, Ruhe und Verantwortungsbewusstsein agieren. Zur Besonnenheit gehört es, kluge und sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Sich nicht bewusst in Gefahr zu begeben, sondern sorgsam mit der eigenen Gesundheit und der anderer Menschen umzugehen. Das bedeutet auch, ärztlichen und politischen Anweisungen Folge zu leisten.

Vielleicht ist es ein Auftrag für uns Christen in dieser aufgewühlten Zeit mit dem Geist der Besonnenheit gelassen und beruhigend auf unsere Gesellschaft einzuwirken. Der Geist der Ängstlichkeit macht panisch und kopflos, der Geist der Besonnenheit macht weise und gelassen.

Und eine Frucht dieses Geistes ist auch die Geduld! Und vermutlich werden wir davon in nächster Zeit noch eine ganze Menge brauchen. Ich wünsche dir den Frieden Gottes in dieser herausfordernden Zeit und dort wo angstvolle Gedanken in dir hochkommen darfst du wissen: „In der Welt, da habt ihr Angst, aber seid getrost ich habe die Welt überwunden.

Amen.

Predigt vom 22. März 2020. Zu sehen hier

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